Zwangserkrankungen

Wir alle kennen harmlose Formen des Zwanges aus unserem täglichen Leben. Gerne erledigen wir Dinge immer in derselben Reihenfolge oder werden gelegentlich von Gedanken belästigt, die uns eigentlich unsinnig vorkommen und die wir dennoch schwer loswerden. Oft kontrollieren wir lieber ein zweites Mal nach, ob der Herd auch tatsächlich ausgeschaltet oder die Haustüre abgeschlossen ist. Solche Phänomene sind uns vertraut, behindern uns kaum und erscheinen uns weder außergewöhnlich noch fremd. Menschen mit einer Zwangserkrankung werden allerdings von scheinbar unkontrollierbaren, unerwünschten Gedanken und zwanghaften Handlungen vereinnahmt. Meist wissen sie um die Unsinnigkeit, sind aber nicht in der Lage, auf die kurzfristig erleichternd wirkenden Gedankenschleifen und/oder ritualisierten Handlungen zu verzichten.

Die Symptome der Zwangserkrankung

Zwangserkrankungen können unterschiedliche Ausprägungen annehmen. In einigen Fällen stehen primär Zwangsgedanken und damit verbundene Grübelketten im Vordergrund, in anderen Fällen Zwangshandlungen:

Zwangsbefürchtungen, Zwangsimpulse, Zwangsgedanken

Typischerweise berichten Betroffene über unangenehme Gedanken, Vorstellungen oder Handlungsimpulse, die sich dem Bewusstsein aufdrängen. Auch wenn diese Vorstellungen als eigene Gedanken erkannt werden, geben sie meist in ihrer Basis nicht die eigene Meinung wieder, werden als unsinnig, sinnlos oder als abstoßend erlebt und lösen folglich quälende Gefühle wie Ängste, Unbehagen oder sogar Ekel aus. Mit dem Ziel, Kontrolle zu erlangen, die Angst zu vermindern und Befürchtungen abzuwehren, versuchen Betroffene daher durch weitere Gedanken und intensives Grübeln die aversiven Gedanken abzuwehren.

Zwangshandlungen

Zwangshandlungen sind sich wiederholende Verhaltensweisen, die gleich ablaufen müssen und zu denen sich der Betroffene gedrängt fühlt, obwohl diese häufig als übertrieben oder sinnlos erkannt werden. Zwangshandlungen haben oft zum Ziel, Ängste, Unbehagen oder Ekel zu verringern, welche durch Zwangsgedanken ausgelöst worden sind. Das Zwangsritual stellt einen letztlich wirkungslosen, symbolischen Versuch dar, eine vermeintliche Gefahr abzuwehren.

Die häufigsten Zwangshandlungen sind Kontrollzwänge (Kontrollieren von Herd, Licht, Gas- und Wasserhahn, Fenster, Türen, Auto usw.), gefolgt von Waschzwängen (besonders Händewaschen), Reinigungszwängen, Ordnungszwängen sowie Zählzwängen.

Komorbidität

Da Zwangserkrankungen viel Energie und Zeit in Anspruch nehmen, sind die Betroffenen im Alltag in ihrer Lebensqualität sehr eingeschränkt, psychisch stark belastet und haben aufgrund der immer wiederkehrenden Gedanken Schwierigkeiten fokussiert ihren Alltag zu meistern. Aus diesem Grund gehen Zwangserkrankungen nicht selten mit Depressionen oder anderen Angsterkrankungen, wie etwa der sozialen Phobie oder der Panikstörung, einher.

Behandlung

Einer Zwangserkrankung ist man nicht völlig willenlos ausgeliefert. Bei fehlender kontinuierlicher Behandlung kommt es jedoch meist zu einer Verschlechterung der Symptomatik.

In der Behandlung geht es zunächst darum, den Zwang und alle damit einhergehenden dysfunktionalen Muster verstehen zu lernen. Erst wenn die zugrunde liegenden Mechanismen erkannt und immer bewusster wahrgenommen werden, ist es möglich Schritt für Schritt wieder Kontrolle in scheinbar unkontrollierbare Automatismen zu erlangen.

Anschließend wird begonnen, mit zielgerichteten Techniken und Übungen die Symptomatik schrittweise zu reduzieren und Herausforderungen gemeinsam zu bearbeiten. Durch Exposition wird der Umgang mit aufkommenden Ängsten und Spannungen gezielt trainiert und so dem Zwang die Macht genommen. Betroffene lernen durch achtsamkeitsbasierte Praktiken ihre Selbstwahrnehmung zu schulen, im Moment des Augenblicks zu leben und aufkommende Emotionen regulieren zu können. Besonders wichtig ist hierfür eine vertrauensvolle und kooperative Beziehung zwischen Patient/in und Psychologin.

Selbst wenn Symptome schon mehrere Jahre anhalten, kann durch eine gezielte Behandlung eine deutliche Verbesserung erreicht werden. Zwar ist eine vollständige Heilung nicht immer gegeben, die Situation lässt sich für Betroffene jedoch so weit optimieren, dass die eigenen Zwänge nicht mehr den Alltag beherrschen und die Lebensqualität wiederhergestellt wird.

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